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Sleep is the cousin of death, WACHUNDTRAURIG #5 ist ein Lifeguide. So mahnt uns Seneca vor Selbsttäuschung, Film und Musik machen uns vor, wie etablierte Strukturen gebrochen werden und Mechtilde Lichnowsky finalisiert schließlich mit den schönen Dingen des Lebens. |
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 | Limitierungen haben schon so einige kreative Löcher mit Inhalt gefüllt. Wer schon einmal gefastet hat, weiß, wie gerade der Verzicht alltäglichen Überfluss verdeutlicht. Ein Regelwerk gepaart mit Disziplin kann zudem dabei helfen, Wesentliches ausfindig zu machen und mit eingefahrenen Strukturen zu brechen. Mit ihrem 1995 verfassten Manifest Dogma 95 stellten die dänischen Regisseure Lars von Trier und Thomas Vinterberg die etablierte Filmindustrie an den Pranger. Sie schrieben dem Film gewisse Tendenzen zu und kritisierten in ihrem Manifest u.a. Oberflächlichkeit des Inhalts und Entfremdung durch Effekte. Ihren Gegenentwurf formulierten sie in 10 Geboten, dem Keuschheitsgelübde. Zum Beispiel sollen ausschließlich Handkameras verwendet werden, künstliche Beleuchtung sei nicht akzeptabel. Das komplette Manifest und The Vow of Chastity gibt es hier nachzulesen. In Cannes präsentierten die beiden Regisseure 1998 schließlich die ersten Ergebnisse. In Thomas Vinterbergs Festen wird, ohne zu viel verraten zu wollen, ein dunkles Familiengeheimnis aufgedeckt, Lars von Triers Idioten zeigt eine Gruppe Menschen, die durch ihr Verhalten als Gegenentwurf zum Spießertum präsentiert wird. Zwei sehr sehenswerte Filme, die mit Sicherheit einen Teil ihrer Kraft aus dem ihnen zugrunde liegenden Manifest ziehen, das Anhänger*innen bis heute als Inspirationsquelle dient. |
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 | Die beiden Dänen waren natürlich nicht die Ersten, die versuchten das Konzept Film umzuwerfen. Von den gewissen Tendenzen, die auch im Zusammenhang mit dem Dogma 95 stehen, spricht schon der französische Filmkritiker und Regisseur François Truffaut in seinem Artikel Eine gewisse Tendenz im französischen Film (1954). In einer Kampfansage an das zeitgenössische Kino durchleuchtet er anhand von Beispielen die fortwährende Reproduktion von Inhalten und die Angepasstheit der Filmschaffenden. Die Kraft des Filmes zur Bewusstseinserweiterung und Provokation betrachtet er als ungeachtet. Wie später auch Vinterberg und von Trier spricht er sich dafür aus, statt Produzent*innen oder Literat*innen, den Director wieder in den Mittelpunkt, als maßgeblichen Filmschaffenden, zu stellen. Mit seinem Artikel ist Truffaut prägend für die Entstehung des Autorenfilms und schließlich der Nouvelle Vague. Ein Genre, das mit klassischen Erzählstrukturen bricht und neuartige Schnitttechniken und Bilder entwirft. Truffaut selbst wandelte sich vom Kritiker zum Regisseur und feierte sein Debüt mit dem eindrucksvollen 400 Blows (1959), einer der bedeutendsten Filme der neuen Bewegung. Le film de demain sera un acte d'amour. |
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 | Papas Kino ist tot! tönte es auch 1962 aus Oberhausen. Dort finden seit 1954 die internationalen Kurzfilmtage statt. Im achten Jahr wurde dort von 26 Filmemachern das Oberhausener Manifest verkündet und der Neue Deutsche Film ward geboren. Ähnlich wie bei Truffaut wurde der unkreative, zum seichten Heimatkino verkommene Film kritisiert. Anspruch, Sozialkritik und facettenreiche Charaktere sollten die neue Ära bestimmen. Zunächst war der Kurzfilm im Fokus, einige Jahre später folgten jedoch auch erste Spielfilme wie Volker Schlöndorffs Der junge Törless (1966) oder Alexander Kluges Abschied von gestern (1966). Einer, der das Manifest zwar nicht unterschrieb, es jedoch wie kein Zweiter versteht Gesellschaftskritik, menschliche Beziehungen und interessante Charaktere auf die Leinwand zu projizieren, ist Rainer Werner Fassbinder, der uns mit Sicherheit noch des Öfteren auf der langen Reise der W&T's begegnen wird. Eines seiner kleineren, aber keineswegs unbedeutenden, Werke ist Angst essen Seele auf (1974). Der Film befasst sich, wie der Name schon vermuten lässt, mit einem zeitlosen Thema. |
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Ein Konzept, um in der Musik und deren Produktion zu Ursprünglichkeit und Authentizität zu gelangen, findet sich im Genre Lo-fi, zunächst einfach Antonym zu Hi-fi, jedoch auch das Gegenkonzept zu Mainstream-Produktionen und durch das DIY-Prinzip gewissermaßen die Rückeroberung der Produktionsmittel. Ähnlich wie im Film rückt der Künstler wieder in den Mittelpunkt und kehrt "Produzentenmusik", die sich oft nach Produktvorstellungen richtet, den Rücken. Lo-Fi hat Ende der 10er-Jahre durch eine Nostalgie-Welle jedoch auch einen leicht künstlichen Charakterzug entwickelt, der sich z.B. in Genres wie Vaporwave wiederpiegelt. |
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True to the game und genre-prägend sind die 4-Track Aufnahmen von Sebadoh, die sich z.B. auf The Freed Man (1990) wiederfinden. Bekannt wurde die Band übrigens mit diesem herzzerreißenden Lied. Musikproduktion ist günstiger geworden und dementsprechend gibt es mehr Lo-Fi, bei dem oft weniger technische Qualität als Kreativität im Vordergrund steht. Aktuellen Folk-Pop mit einem ähnlichen Ansatz gibt es von kate can wait, anstrengender zu hören, aber experimenteller ist die Musik von MHYSA. |
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Auch Disziplin kann zu einem wichtigen Faktor werden, um gewünschte Verhaltensweisen umzusetzen. Seneca, eine prägende Figur des Stoizismus, rechnet dem Menschen die Fähigkeit zu, durch vernünftiges und diszipliniertes Verhalten angestrebte Ziele umsetzen zu können. Aussagen wie, Das Leben ist zu kurz, verortet er in selbstverschuldeter Verschwendung von Lebenszeit, z.B. durch den Aufschub von geplanten Veränderungen. Das Leben ist kurz von Seneca gibt es bei YouTube zu hören (52 min.). |
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Und um noch ein wenig auf andere Gedanken zu kommen, weitab der durchdachten Manifeste und der unerschütterlichen Disziplin, wieder zur Liebe und Musik. Mechtilde Lichnowsky, Ur-Ur-Urenkelin von Maria Theresia, beschreibt in Der Stimmer (1917) einen Virtuosen am Klavier, der leider nur als Klavierstimmer wahrgenommen wird, eine Liebesgeschichte und die Vorgänge und Beziehungen in einem bürgerlichen Haushalt. In zwei Teilen (108 min.) gibt es Mechtildes Werk im BR zu hören. |
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